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Tadjoura Gedanken und Erfahrungen von einer, die fand, Religion sei nur etwas für schlichtere Gemüter - und dann
zum Islam konvertierte. Ausgerechnet ...

Ketten

Es kommt immer wieder mal vor, dass man auf Texte stößt, welche das ausgefeilte, anfangs vor allem mündliche System der Überlieferung der Korantexte aus dem 7. Jahrhundert, in dem noch kaum geschrieben wurde, durch die Zeiten hindurch bis hin zu uns, durch “neue wissenschaftliche Erkenntnisse”  in Frage stellen – und somit die Authentizität des Koran anzweifeln. Ich kann aus eigenem Wissen wenig zu diesem Thema beitragen, wenn es mir auch komisch vorkommt, dass irgendwelche Textfragmente, die irgendwelche Leute irgendwo ausgegraben haben, von irgendwelchen Menschen geschrieben, die diese Texte ja ihrerseits von irgendwelchen nicht verifizierbaren Leuten in unbekannten Sprachen übernommen haben können, dass solche Textfragmente mehr Beweiskraft haben sollen als das ausgeklügelte islamische Überlieferungssystem.

Zum besseren Verständnis für Nichtmuslime sei diese Technik der Überlieferung hier kurz beschrieben. Ich habe den folgenden Text aus einem Forum übernommen (mit dem Einverständnis des Verfassers – danke!), weil er die Sache so schön kurz auf den Punkt bringt. Obwohl ich von ganzem Herzen von der Authentizität des Koran überzeugt bin, bin ich immer froh, wenn ich wieder einen Teilaspekt des Glaubens auch verstandesmäßig voll und ganz nachvollziehen kann. InshaAllah hilft der Beitrag auch anderen:

«Ganz abgesehen davon ist der Koran mit tausenden von lückenlosen Überliefererketten auswendig überliefert worden, Überliefererketten, die über die ganze Welt verteilt sind und bis zum den Propheten (s) höchstpersönlich zurückreichen, und das ist ein weit stärkerer Beweis, als es jedes Manuskript aus der Prophetenzeit (!) sein könnte. Es existiert weltweit keine einzige Überlieferkette für einen Koran mit einem Vers mehr oder einem Vers weniger als im heutigen Koran, noch nicht einmal bei den abgedrehtesten Sekten, und von denen gibt/gab es ja hunderte.

Heutzutage bekommst du an jeder der tausend islamischen Universitäten ein Zeugnis, wenn du deinem Lehrer den Koran auswendig und ohne eine einzige Silbe falsch ausgesprochen zu haben, vorgelesen hast. Die Kriterien sind sehr streng. Mit dem Zeugnis erhältst du eine “Ijâza” und wirst mit deinem Namen Teil einer offiziellen Überliefererkette, in der der Name deines Lehrers steht, und der Name des Lehrers, dem er wiederum auswendig vorgelesen hat, dann des Lehrers, dem der wiederum auswendig vorgelesen hat, und so weiter – bis zum Propheten (s).

Wenn es nur eine oder zwei solcher Namensketten gäbe, dann würde ich dir recht geben, dann wäre es eine Vermutung. Aber es gibt Zehntausende (!) dieser Ketten über die Universitäten und Koranschulen der ganzen Welt verstreut, und diese Ketten sind so unterschiedlich und somit die Masse der Zeugen so gewaltig, dass es Wahnsinn wäre zu denken, dies sei das Produkt einer gewaltigen Verschwörung.

Eine einzelne Kette wird erst dann als authentisch eingestuft, wenn jeder Gewährsmann genau bekannt, seine Vertrauenswürdigkeit bestätigt ist und die Kette lückenlos ist.

Kein Text der Weltgeschichte ist je auf diese Weise gesichert worden, außer dem Koran. Was hier an Akribie geleistet wird und wurde, übersteigt jede Vorstellungskraft.»

Das ganze geht nämlich soweit, dass für so manchen, wenn nicht jeden einzelnen Vers eine Überlieferkette existiert, z.B. um zu wissen, in welchem Stil (!) er rezitiert werden kann.»

«O ihr Menschen, zu euch ist nunmehr ein Beweis von eurem Herrn gekommen, und Wir haben zu euch ein deutliches Licht hinabgesandt.» (An-Nisã 174) 

Nachtrag:

Ich frage mich gerade, was wohl in ein paar tausend Jahren Archäologen zu den Fragmenten erfinden, die sie aus unserer Zeit ausgraben – wohlverstanden nachdem unsere Kultur genauso untergegangen ist wie alle zuvor, die ganze Technik verrostet und verrottet ist und von unseren Monumenten nur noch Ruinen stehen. Wie viel größer sind wohl die Chancen, dass  ein paar Hufaz (=  Mehrzahl von Hafiz = Muslim, der  den Koran auswendig kann) den Koran in die neuen Zeiten hinüber retten als dass zukünftige Historiker aufgrund ein paar wenigen von heute übrig gebliebenen Fragmente heutiger Veröffentlichungen (!!! man bedenke die Menge und die Vielseitigkeit der Themen!!!) irgend einen Text originalgetreu zusammenstellen können?

Erstveröffentlichung: 10.4.2012

Ähnliches Thema: Koran für Trotzköpfe

  
Veröffentlicht am 2012-04-10



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5 Antworten zu “Ketten”

  1. Da hast du vollkommen Recht.
    Selbst die Orientalisten mussten schweren Mutes feststellen, dass der Koran von heute mit dem Schrifttum der Sahara nahezu identisch ist.

    Ich bewundere deine Arbeit und Mühe.
    Möge Allah dich immer schützen und belohnen.

    Salam Aleikum

    PS: Vielleicht solltest du deine Seiten auch über muslimische Facebook Seiten verteilen, das erhöht die Reichweite an Lesern ungemein.

  2. Wa alaykum as-salam

    Ich denke du meintest die Sahaba…

    Ja danke, das mit dem fb ist eine gute Idee, die ich inzwischen teilweise schon umgesetzt habe. Schau mal hier auf der Seite ziemlich weit oben rechts neben dem Haupttext findest du den Link zur ausgerechnet-islam fb Seite, da poste ich alle neuen Beiträge. Selbstverständlich freue ich mich über jeden Like 🙂 Und natürlich darf auch gerne geteilt werden.

    Übrigens soll die Seite ja nicht nur Muslime ansprechen – von denen wissen die meisten ja mehr als ich 🙂

  3. Es gibt verschiedene Verszählungen: 1) erste madinensische Zählung (6217 Verse), 2) spätere madinensische Zählung (6214), 3) makkanische Zählung (6210), 4) baṣrische Zählung (6204), 5) damascenische Zählung (6227 oder 6226), 6) ḥimṣische Zählung (6232), 7) kūfische Zählung (6236). In der älteren Ausgabe der deutschen Qurʾān-Übersetzung von Max Henning ist eine Verszählung des Qurʾān-Spezialisten Gustav Flügel verwendet, die mit keiner der vorgenannten übereinstimmt. Nach der madinensischen Zählung ist z. B. der Thronvers (Sure 2 al-Baqara 255) in zwei Verse unterteilt. All diese unterschiedlichen Einteilungen ändern jedoch nichts an der Übereinstimmung des Qurʾān-Textes.
    Allerdings gibt es beim schriftlich kodifizierten Qurʾān-Text der ʿuṯmānischen Ausgabe über vierzig Stellen, an denen Nichtübereinstimmungen bis zu maximal zwei Buchstaben zu den jeweils anderen Exemplaren überliefert sind, wie bspw. in Vers 15 der 91. Sure asch-Schams, wo das madinensische und das syrische Qurʾān-Exemplar fa-lā yaḫāfu anstelle von wa-lā yaḫāfu haben. Entsprechend ist das auch mündlich so überliefert (siehe اختلاف مصاحف الأمصار الخمسة).
    Zusätzlich zu den 10 „kanonischen“ Lesarten gibt es noch vier weitere, wie bspw. diejenige des Ḥasan al-Baṣrī, die den 10 als Qurʾān anerkannten sehr nahekommen, jedoch eine oder mehrere der hierfür gestellten Bedingungen nicht erfüllen, wie Überlieferung in Tawātur oder Übereinstimmung mit dem Schriftbild der ʿuṯmānischen Ausgabe. Die Lesart des Prophetengefährten ʿAbdullāh ibn Masʿūd weicht jedoch so beträchtlich von den zehn anerkannten und sogar den vier zusätzlichen ab, daß sie hier nicht mit einbezogen wird.

    Die meisten Gelehrten sehen alle stark abweichenden Textvarianten als abrogiert an. Demnach suchte Ǧibrīl (Gabriel)  den Propheten Muḥammad (ﷺ) jedes Jahr einmal im Monat Ramaḍān auf, um mit ihm den gesamten Qurʾān durchzugehen. Im Jahre seinen Ablebens ging er ihn mit ihm zweimal durch, und dabei wurde die letztgültige aktuelle Version festgelegt. Private Kopien, wie z. B. die stark von der ʿuṯmānischen Version abweichende des Prophetengefährten ʿAbdullāh ibn Masʿūd verloren dadurch ihre Gültigkeit. D. h. alle diese früheren privaten Qurʾān-Versionen wurden durch diejenige der letzten Lesung mit Ǧibrīl abrogiert.
    Jedoch ist es für mich nur schwer vorstellbar, daß Allah den Qurʾān zunächst in all diesen teilweise stark vom endgültigen Text abweichenden Versionen geoffenbart haben soll, um sie nachher, nachdem sie bereits von einigen Leuten kodifiziert und auswendig gelernt worden waren, wieder aufzuheben. Vielmehr scheint es so, daß Ibn Masʿūd in seinem Qurʾān-Exemplar viele Wörter und Satzteile als Erläuterung in den eigentlichen Qurʾān-Text einfügte, ohne dies zu kennzeichnen. Als der Kalif ʿUṯmān die privaten Qurʾān-Exemplare zur Vernichtung einsammeln ließ, weigerte sich Ibn Masʿūd, das seine abzugeben. Später verbot der umayyadische Statthalter des Irak, al-Ḥaǧǧāǧ ibn Yūsuf, die damals noch in Kūfa verbreitete Lesart des Ibn Masʿūd.
    In einem in Ṣaḥīḥ-al-Buḫārī überlieferten Ḥadīṯ heißt es, daß Ibn Masʿūd in der 92. Sure al-Lail folgendermaßen rezitierte:
    { والليل إذا يغشى . والنهار إذا تجلى . والذكر والأنثى } ohne { وما خلق }. Er schwor darauf, es so selbst aus dem Munde des Gesandten Allahs (ﷺ) gehört zu haben. Wurde Ibn Masʿūd von den anderen Prophetengefährten, insbesondere den Anhängern ʿUṯmāns, unterdrückt, oder hielt er starrsinnig an einer abrogierten Version fest? Zumindest bezüglich dieser Stelle scheint mir Ibn Masʿūds Variante sinnvoller und sprachlich korrekter und leichter verständlich. Eigentlich müßte مَن anstatt ما stehen, wenn es sich auf eine Person, nämlich Allah, bezieht. Die Grammatiker haben jedoch irgendeine Begründung gefunden, um ما für مَنْ gelten zu lassen. Warum schwört Allah an dieser Stelle bei Sich selbst in dieser Form mit dem Relativpronomen für nicht mit Verstand begabte Wesen und unbeseelte Dinge, als derjenige, der das Männliche und das Weibliche erschaffen hat, wo die beiden vorangehenden Dinge, bei denen Er schwört, von Ihm erschaffen sind? Hier würde dem Zusammenhang nach besser passen, daß Er beim Männlichen und dem Weiblichen schwört, das Er ebenso erschaffen hat wie die Nacht und den Tag.

    ʿUṯmān hatte Zaid ibn Ṯābit, den Leiter der Kommission zur Erstellung der einheitlichen offiziellen Qurʾān-Ausgabe angewiesen, im Zweifelsfalle, wenn zu einer Stelle mehrere unterschiedliche Varianten vorlägen, diejenige in „der Sprache der Quraisch“ zu nehmen und in der Ausgabe niederzuschreiben. Da es sich bei dem unvokalisierten Text nicht um die Aussprache gehandelt haben kann, muß man annehmen, daß hier mit „der Sprache der Quraisch“ einzelne Wörter und Ausdrücke gemeint sind.
    Zum Beispiel kannten manche Araber nicht das Wort عِهْن „bunte zerpflückte Wolle“ وَتَكُونُ الْجِبَالُ {كَالْعِهْنِ الْمَنفُوشِ} (القارعة:5 Sure 101, 5), weswegen sie in ihren Lesarten, bzw. Varianten, صُوف „Wolle“ {كَالصُّوفِ الْمَنفُوش} verwendeten.
    In einer Enzyklopädie der Qurʾān-Lesarten wird bspw. erwähnt, daß Ibn Masʿūd, Ibn az-Zubair, Zaid ibn ʿAlī, ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, ʿAlī, ʿAlqama und al-Aswad in der Sūra al-Fātiḥa {صِرَاطَ مَنْ أَنْعَمْتَ عَلَيْهِمْ} man anʿamta anstelle von {صِرَاطَ الَّذينَ أَنْعَمْتَ عَلَيْهِمْ} al-laḏīna anʿamta rezitierten.
    Ein Problem scheint mir die Angelegenheit mit der letzten gemeinsamen Lesung (الْعَرْضَة الأَخِيرَة) zu sein, in der Ǧibrīl (Gabriel)  mit dem Propheten Muḥammad (ﷺ) den Qurʾān zweimal durchging. Wer war dabei zugegen? Wer kann das bezeugen? Unter den Gelehrten besteht Meinungsverschiedenheit darüber, wer von den Prophetengefährten nach dieser letzten Lesung mit Ǧibrīl vor dem Propheten (ﷺ) rezitierte: Zaid ibn Ṯābit, Ibn Masʿūd oder Ubayy ibn Kaʿb? Sollte Ibn Masʿūd zu ihnen gehören, so stellt sich wieder die Frage, warum seine Lesart sich dann so sehr von derjenigen des Zaid ibn Ṯābit und anderer unterscheidet.

  4. In Wirklichkeit ist es bei allen grundlegenen islamischen Überlieferungen – Qur’ an, Hadith und auch des ‘Urf (der Gebräuche) der Leute von Madina (welcher am ausgeprägtesten in Formen der Malikitischen Schule berücksichtigt wird) – so, dass sich die mündlichen und schriftlichen Überlieferungen überlappen. So wurde der hl Qur’an (in verschiedenen Lesearten) nicht aufgeschrieben, bevor er nicht mehrfach überprüft wurde. Dies geschah, nach einer Zeit des reinen Auswendiglernens, noch zu Lebzeit des Propheten. Auch die Hadithwissenschaften befassen sich immer genauestens mit den Überlieferern, die, nebst strenger Kriterien für ihre Glaubwürdigkeit zum Zeitpunkt der Niederschrift auch Gefährten des Propheten oder zumindest seiner Gefährten waren. Die weitere Überlieferung fand in der Folge bis in jüngste Vergangenheit eigentlich immer zweispurig statt, sowohl der Qu’ran als auch die Sunna (Hadithe) wurden nebst dem schriftlichen Studium immer auch mündlich überliefert und auswendig gelernt, oft (Hadithe) auch poetisch untermalt. Bis heute pflegen nicht nur Sufische Tariqas die Rückverfolgun der Überlieferungskette bis zur Person des Propheten Muhammad, Friede und Segen Allahs sei mit ihm. Die islamische Überlieferung kann daher hier mitnichten mit “stiller Post” verglichen werden, noch wurden hier “irgendwelche Bruchstücke” zusammengesetzt. Die mündliche Überlieferung hat die schriftliche, das Gerüst sozusagen, über viele Jahrhunderte durchdrungen, umhüllt und verlebendigt. Leider ist dieser lebendige Islam heute schwer beschädigt und daher in seiner Authentizität gefährdet. Dies liegt daran, dass das grosse Ganze immer weiter zersprengt und zerstückelt wird, der gelebte Islam als solcher in Reinform gar nicht mehr existiert. Möge Allah taala uns dabei helfen, innerhalb dieses Zerstörungswerks wieder Einheiten der Ganzheit zu schaffen, heil zu werden. Wassalam

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