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Gedanken und Erfahrungen von einer, die fand, Religion sei nur etwas für schlichtere Gemüter - und dann
zum Islam konvertierte. Ausgerechnet ...
Medina!
ein Handy-Foto vom Weg zum Haram gestern zu Maghrib |
„Wie kannst du nur“ dachten einige meiner Leute, als ich verkündete, ich würde nach Saudiarabien (!) reisen, eingeladen von einer Glaubensschwester, die ich nur per Internet und dazu noch gar nicht so lange kenne. Der Kontakt war durch einen Studenten auf Chat Islam Online (eine meiner ersten Anlaufstellen, wo immer jemand da war, wenn ich Fragen hatte) und über diesen Blog erst im letzten November zustande gekommen.
Nein, um das gleich vorweg zu nehmen: Ich wurde und werde weder auf jenem Chat noch hier in Medina „wahabitisch“ oder „salafistisch“ „indoktriniert“, mir wurde und wird keineswegs irgend etwas aufgedrängt. Wenn man liest, was über die Saudis und ihr Religionsverständnis in der Presse und im Internet so geschrieben wird, dann sind, so scheint mir jetzt (wobei ich allerdings ja erst eine Woche hier bin), manche deutschsprachigen Prediger auf Youtube sind viel „saudischer“ – bisher begegnet mir hier nämlich vor allem großzügige Gastfreundschaft, Wärme und Toleranz. (Dies ist mein Eindruck von den Menschen, die ich hier kennenlerne, nicht von der Politik oder der Regierungsform – das ist ein anderes Thema und gehört nicht in diesen Rahmen).
„Wie kannst du nur – ein so fremdes Land, fremde Leute, und die laden dich einfach so ein?“ Wahrscheinlich hätte ich im umgekehrten Fall dasselbe gefragt. Natürlich ist mir bewusst, dass der positive Eindruck beim Chatten und Telefonieren per Skype durchaus täuschen kann – aber seltsamerweise hatte ich von Anfang an nicht den Hauch eines Bedenkens, was diese Familie hier angeht. Eher fragte ich mich, ob sie mich so lange ertragen würde – anständiger Besuch bleibt nie zu lange, wurde mir beigebracht.
Mein Vorgefühl hat mich nicht getäuscht. Ich wurde von der ganzen Familie unglaublich herzlich aufgenommen und fühlte mich nach kürzester Zeit schon wie ein Familienmitglied. Die Schweizer Tante aus Portugal :).
Was ich jetzt hier so tue? Nun, ich lebe so, wie man in einem islamischen Land, wo gerade Schulferien sind, in einer muslimischen, praktizierenden Familie lebt. Gar nicht soo viel anders, als man in allen Familien in allen Ländern lebt: man unterhält sich, isst, geht einkaufen, kocht, lacht, geht spazieren, hat Besuch, geht zu Besuch – da wie gesagt gerade Ferien sind folgen sich Einladungen Schlag auf Schlag.
Der große Unterschied zu meinem „normalen“ Leben ist natürlich, dass das Ausüben der Religion hier niemanden stört oder nervt (keine »Verbiegungen« außer Ruku und Sudjud 😉 ). Dass man überall ohne Bedenken alles essen kann, was serviert wird. Dass niemand peinlich berührt ist, wenn das Thema Religion aufkommt, ganz im Gegenteil. Schön ist natürlich, dass ich endlich mal „abschauen“ und gewisse Dinge, die für Muslime ganz selbstverständlich sind, mir jedoch bei meinen einsamen Internet-Studien entgangen sind, erfragen und lernen kann. Und natürlich, dass der Gottesdienst ganz selbstverständlich in den Tagesablauf eingebaut ist. Sogar in den Einkaufszentren gibt es schöne große Gebetsräume. Den Adhan von allen Seiten zu hören habe ich ja schon in Marokko und – in „vormuslimischen“ Zeiten, in Ägypten und im Golf erleben dürfen – aber so nah wie hier hatte ich ihn noch nie. Die nächste Moschee ist gleich nebenan, so dass ich sogar die ganzen Gebete in meinem Zimmer höre, als ob ich dabei wäre. Ja, früher hätte ich auch gefragt: „Kannst du denn da noch schlafen? Stört dich das nicht?“ Jetzt jedoch frage ich mich: „Wie kann das stören? Wie kann man das hören und sich statt berührt gestört fühlen?“
Ab und zu kann ich ein paar Brocken Arabisch anwenden. Bis ich meine Wörter – peinlicherweise auch gerne mal ganz verkehrte – aus den hintersten Gehirnschubladen geklaubt habe, ist aber der Moment, sie zu sagen, manchmal schon lange vorbei. Zum Glück wird mir von meiner zweisprachigen Gastfamilie geholfen.
Dafür lerne ich jetzt „Islamisch“ *). Komisch, zuhause hätte ich doch ab und zu mal ein MaschaAllah oder Alhamdulillah auf den Lippen und schlucke es im letzten Moment hinunter, um niemanden damit zu nerven. Hier, wo ich der Zunge freien Lauf lassen könnte, scheint sie irgendwie blockiert zu sein. Vielleicht aus Angst, das Falsche im falschen Moment zu sagen. Na ja, inschaAllah wird das noch, der jüngste Spross der Gastfamilie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich gelegentlich anzustupsen und ein wenig zu unterweisen.
Ja, und dann gibt es natürlich noch ein paar Dinge, die man wirklich nur hier erleben darf. In dem Land zu sein, wo alles angefangen hat. Das Gebet in der Moschee des Propheten s.a.w.s. ………… tut mir leid, das kann ich einfach gar nicht beschreiben, es gibt keine Worte dafür. Allahu Akbar.
So, eigentlich hatte ich gar nicht vor, so viel zu schreiben. Bald soll es zur Umra gehen, so Gott will. InschaAllah melde ich mich danach wieder. Inzwischen allen Leser/Innen ein liebes Salam aus der Wüste.
*) Nichtmuslimen mag es komisch vorkommen, dass Muslime die ganze Zeit solche Ausdrücke benutzen. Es ist aber so, das dies zu dem auch im Koran immer wieder erwähnten sogenannten Dhikr, der Gotteserinnerung, gehört und somit einen ganz bewussten Teil des Gottesdienstes darstellt. „InschaAllah“, so Gott will, zu sagen für etwas, das erst in der Zukunft geschehen soll ist sogar im Koran festgeschriebene Pflicht:
«Und sag ja nur nicht von einer Sache: „Ich werde dies morgen tun“,
außer (du fügst hinzu): „Wenn Allah will.“ Und gedenke deines Herrn, wenn du (etwas) vergessen hast, und sag: „Vielleicht leitet mich mein Herr zu etwas, was dem rechten Ausweg näher kommt als dies.“ »(Verse 23 und 24 Sura Al-Kahf)
Diese „Dhikr“ müssen übrigens auch gar nicht in arabisch gesprochen werden, aber aus Gründen, die ich schon »anderswo« erwähnt habe, geht mir ein „alhamdulillah“ leichter über die Lippen als ein „das Lob gehört Gott“.
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Veröffentlicht am 2013-03-29
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8 Antworten zu “Medina!”
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Mashallah! Ich freue mich total für dich. Ich habe mit den Menschen in KSA auch nur positive Erfahrungen gemacht. Gut, ein bisschen langsam sind sie und nicht gerade Organisationstalente. Und was das Autofahren angeht…… vielleicht sollten sie doch lieber die Frauen fahren lassen. Die sind nicht so chaotisch. 😀
Aber trotz Chaos sind die allermeisten ausgesprochen freundlich und rücksichtsvoll. Halten an, ohne sich irgendwie aufzuregen, wenn Fußgänger (nicht weniger chaotisch als Autofahrer) wie die Hühner über die Straße gehen.
Alhamdulillah!
Danke für Deinen schönen Bericht.Freue mich schon auf die Fortsetzung….Weiterhin alles Gute.Liebe Grüße Carolin PS:Uns geht ja ein "Gott sei Dank" auch ohne Probleme über die Lippen (als Christ)…also einfach drauf los reden wenn Dir Deine Worte in den Sinn kommen…nicht denken,einfach "tun"….Mir gefällt es übrigens das Du so einfach drauf los gefahren bist,ich bin auch für solche Aktionen in meinem Leben bekannt,wenn auch in andere Richtungen.Genieße Deine Zeit!
Hallo, ich als nichtmuslimin und auch keiner anderen religion gehörend, finde ihre reiseberichte schön und interessant. Auch wie sie zum islam gekommen sind, sehr schön geschrieben. Ich wünsche ihnen weiterhin alles gute, viel Gesundheit und Kraft. MfG
Salam, vielen Dank für diese Reisebeschreibungen. Das typisch Saudische ist aber nicht in Mekka zu suchen, und noch weniger in Medina, sondern in Najd, weiter östlich auf der Arabischen Halbinsel… "Das Lob gehört Gott" ist ja auch sperrig, ein "gottlob" müsste es eigentlich auch tun 🙂 .
Ja, aber "gottlob" klingt (leider) irgendwie verstaubt. Wer unter 70 sagt das noch? Eigentlich gibt es in der normal gebräuchlichen Umgangssprache doch nur noch "Gott sei Dank" und das wird meist so dahergesagt, ohne sich der Bedeutung wirklich bewusst zu sein. Genauso, wie man sich in Bayern halt mit "Grüß Gott" begrüßt, ohne dabei auch nur den allerkleinsten Gedanken an Gott zu verschwenden.
Wa Salam 🙂
Wunderschön geschrieben und mir gerade nicht fremd. Bin in wien bei einer befreundeten gläubigen familie. Mir kommt diese positive Erfahrungen in einer praktizierenden Familie mehr als bekannt vor
Mashaallah meine Liebe, wunderschön wirklich, ich wünschte wir wären mit dir 😉
Das du zu Hause nicht mal Hamdullilah sagen darfst bzw dich nicht traust, ich sag es ständig und selbst meine Mama hat sich daran gewöhnt und wenn es mal nicht passt sag ich es ganz leise ohne Ton.
Ein Zimmer und nebenan das Gebet der Moschee ? Mashaallah, da verpasst man mit mit Sicherheit kein Gebet. Ich drück dich und freue mich auf weitere Geschichten von dir. salam, Leyla Noura
Warum muss man sich den Entwicklungen der Sprache immer unterwerfen? Sprache wird von Menschen mitgestaltet, also ran an den Speck 🙂 .
Das "verstaubte" "gottlob" geht gegenüber Nichtmuslimen ausßerdem sicher leichter von den Lippen als das kryptische "alhamdulillah".