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Gedanken und Erfahrungen von einer, die fand, Religion sei nur etwas für schlichtere Gemüter - und dann
zum Islam konvertierte. Ausgerechnet ...

«Postramadan-Syndrom» (Ramadan 1434)

Es scheint fast so, als wär ich nicht die Einzige mit diesem Postramadan-Syndrom. Ich will deshalb versuchen, kurz zu analysieren, was da passiert ist. InschaAllah beruhigt das vielleicht andere in ähnlicher Situation und mir selber gibt das Schreiben den letzten Kick zurück Richtung Normalität und hält mich vom Garnichtstun ab.

Bis zum letzten Ramadantag war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich die besondere Stimmung mitnehmen würde in den Alltag. Dass ich vielleicht sogar die eine oder andere kleine schlechte Gewohnheit – oder Teile davon – definitiv abgelegt hätte. Oder dass ich vielleicht sogar die eine oder andere klitzekleine gute neue Gewohnheit – oder Teile davon – durchs Jahr hindurch beibehalten würde. Ein wenig mehr Maß halten beim Essen, zum Beispiel, oder weniger Fernsehen. Etwas mehr Geduld, vielleicht, etwas häufiger Dhikr, öfter mal aufstehen in der Nacht – irgend etwas.
 
Es war doch alles so leicht gefallen während dieses gesegneten Monats. Die zusätzlichen Gebete, alle anderen zusätzlichen Gottesdienste (liebe Nichtmuslime – ich werde gelegentlich an anderer Stelle versuchen, euch zu erklären, warum wir es nicht bei den 5 Pflichtgebeten bewenden lassen). Ein paar kleine Zipperlein wie Zahnschmerzen und eine heftige Nackenstarre, die ich vorher mit ziemlich starken Medikamenten in Schach hielt, waren mit dem ersten Ramadantag spurlos verschwunden, wie weggeblasen, ohne Tabletten. Die vielen zusätzlichen Verbeugungen und Niederwerfungen machten meinem lädierten Rücken überhaupt keine Probleme, auch die Knie waren wie neu.
 
Und dann war Ramadan zu Ende. Nach dem Festtagsgebet  begann sofort der Alltag – ich habe ja hier niemanden zum Feiern. An diesem Tag war ich so beschäftigt, dass ich keine Zeit hatte zum Nachdenken oder zum Inmichgehen.
 
Am Tag danach erwachte ich dann in diesem Loch. Kam kaum aus dem Bett hoch. Da war Blei, überall, auf den Lidern, in allen Gliedern, die Gelenke steif und schmerzend.  Beim Gebet (irgendwie schaffte ich es immerhin, die Pflichtgebete einzuhalten) war der Rücken wie eingerostet, auch die Knie taten weh. Und es war nicht nur der Körper, der bockte: da war ein grauer matschiger Teig anstelle des Gehirns, das Herz wie von Watte umhüllt. Beim Gebet fehlte etwas, auch wenn ich mich noch so anstrengte, mir noch so sehr wünschte,  die Verbindung herzustellen – es waren nur Wörter. Das tat weh. Ich fühlte mich als Versagerin, fürchtete, Allah t. hätte meine Anstrengungen nicht angenommen, ich hätte alles falsch gemacht. Sonst müsste doch etwas hängen geblieben sein!
 
Da war ich also ganz unten und ein leichtes Opfer für die guten alten Schuldgefühle, ganz alte „vormuslimische“ und natürlich insbesondere die aktuellen: dass ich  Menschen vor den Kopf gestoßen, Lebenserwartungen enttäuscht habe. Dass mein Glaube und mein Glauben meine Nächsten nach wie vor verwirren, dass  sie deswegen manchmal traurig sind, und dass sie mich bei aller Liebe nicht verstehen können. Und – astaghfirullah – ich trauerte der „Unkompliziertheit“ meines früheren Lebens nach.
 
Ja das ist ein Teufelskreis, im wahrsten Sinn des Wortes. Shaytan, befreit von den Ketten, greift von allen Seiten an.
 
Die letzten Tage fühlten sich an wie Wochen, Ramadan weit weg. Ich war körperlich und seelisch einfach nur noch schlapp und schwach und traurig und unbrauchbar, brachte im Haushalt nur das Allernötigste auf die Reihe, um mir nichts anmerken zu lassen (ich hatte Besuch). Und so sehr ich auch versuchte, mich mit den bekannten Phrasen aus dem Tief zu befreien (denk mal daran, wie es den Menschen in Kriegsgebieten geht, denk an die hungernden Kinder, reiß dich gefälligst zusammen, du hast überhaupt keinen Grund zum Jammern) – es half nicht, natürlich nicht. Und so bewusst mir auch war, ich müsste „nur“ die negativen Gedanken durch positive austauschen, mehr und konzentrierter beten, Gott um Hilfe bitten, Koran lesen – ich schaffte es einfach nicht, mich auch nur zu etwas davon aufzuraffen, und das wiederum deprimierte mich noch mehr.
 
Ja, das war ein sehr abrupter Übergang. Eben noch schaffte man mit wunderbarer Leichtigkeit so viel mehr und besser, als man es sich selber je zutraute – um dann plötzlich in den Alltag zurück geworfen zu werden. Das hat bei mir offenbar eine kleine Depression ausgelöst. Gott sei Dank war sie zeitlich begrenzt, aber nichts desto trotz sehr beängstigend. Wahrscheinlich hatte ich  mich ganz unbemerkt doch ein wenig überfordert, sowohl meinen Körper als auch meine Psyche, und beide haben beschlossen, sich mal eine kurze Auszeit zu nehmen. Nächsten Ramadan werde ich etwas gemächlicher angehen, inschaAllah.
 
Ich meinte eigentlich, mich mit Depressionen etwas auszukennen. Sowohl in meinem realen Umfeld, wie auch unter den Menschen, die ich durch den Islam kennengelernt habe und auch unter jenen, die mit mir über diesen Blog Kontakt aufgenommen haben, gibt es erstaunlich viele Betroffene, die schon mal Depressionen hatten oder noch haben (ich hoffe, diese sind jetzt nicht enttäuscht über meine Schwäche). Ich bildete mir deshalb ein, ein wenig nachvollziehen zu können, wie es sich anfühlt – außerdem habe ich ja – wie wahrscheinlich jeder Mensch – auch ab und zu mal ein Tief, einen depressiven Tag, einen Durchhänger.
 
So bleibt mir, Allah t. zu danken, dass Er mir den Unterschied gezeigt hat zwischen so einem Tief respektive einem Durchhänger und einer wahrhaftigen Depression. Und Ihm zu sagen, dass ich verstanden habe und sie jetzt nicht mehr brauche.
Ich bin über den Berg, alhamdulillahder Teig, die destruktiven Gedanken sind weg aus dem Kopf, sonst hätte ich nicht darüber schreiben können.  Das Blei in den Gliedern, der Rost in den Gelenken und eine gewisse Trägheit sind noch da – ich hänge jetzt aber – nicht zuletzt dank des Zuspruchs von ein paar Menschen da draußen (Y!) – ohne schlechtes Gewissen noch eine Weile herum, gebe mir Zeit. Wieder einmal habe ich gelernt, dass man – ich jedenfalls – nicht zuviel von sich selbst erwarten darf. Wieder einmal gilt es, die  Mitte zu finden, die richtige Balance: Sich zu erholen, aber nicht nachlässig zu werden, sich aufzuraffen, ohne sich zu überfordern. Dschihad, halt. 

Die Hoffnung, dass ich mit Gottes Hilfe längerfristig doch etwas aus dem Ramadan 1434 mitnehmen darf, ist auf jeden Fall wiedergekommen. Mehr als Hoffnung, denn das Recherchieren und Reflektieren für die täglichen Ramadan-Artikel, und insbesondere die schönen Schwestern-Treffs auf Skype zum Thema Hadith und Dua müssten ja eigentlich zumindest was Kenntnisse anbelangt etwas Bleibendes gebracht haben. Und das Koranlesen! Und überhaupt! Ha – Leute – ich bin raus aus dem Teufelskreis!

Heute habe ich voller Elan  meinen ersten Schawwal-Fastentag in Angriff genommen! 
(Wie oben schon erwähnt folgt bald ein Artikel über freiwillige Gottesdienste).

  
Veröffentlicht am 2013-08-15



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2 Antworten zu “«Postramadan-Syndrom» (Ramadan 1434)”

  1. asalamu alaikum.
    Schöne Analyse, mascha Allah. Ich habe es auch so erlebt, dass Muslim-sein nicht bedeuet, dass man nie traurig ist oder in ein Loch fällt. Aber normalerweise findet man dank dem Glauben rasch wieder raus, inscha Allah. So zumindest meine Erfahrung.

  2. Assalaamu aleikum liebe Schwester,
    mir kam eben in den Sinn, dass in deiner Erfahrung doch auch Gutes liegt…und vielleicht konnte es überhaupt nicht anders sein, als so, wie du es erlebt hast? Gehört nicht der Ramadan zu den heiligen Monaten? Enthält er nicht die beste aller Nächte? Hat er nicht seinen besonderen Segen für die Menschen? Das sagt uns Allah und was du erlebt hast, bestätigt das doch eindrucksvoll. Der Monat IST anders. Egal, was wir auch versuchen, wie sehr wir uns anstrengen…durch diese Anstrengung können wir diese spezielle Zeit nicht auch nur einen Tag verlängern…weil Allah es nun mal so gewollt hat. In sofern ist es doch gut:
    Dass du diesen Monat überhaupt so intensiv verbringen und genießen konntest.
    Dass du noch mehr als vielleicht früher selbst gespürt hast, wie wahr das ist, was wir aus Koran und Sunnah über den Ramadan wissen.
    Dass wir diesen Monat überhaupt haben, immerhin 1/12 des Jahres 🙂 Man stelle sich vor, es gäbe ihn GAR nicht? Wäre doch schade.

    Liebe Grüße und dir eine schöne Woche insha´Allah 🙂

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