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Gedanken und Erfahrungen von einer, die fand, Religion sei nur etwas für schlichtere Gemüter - und dann
zum Islam konvertierte. Ausgerechnet ...

„schäm dich!“

Über das Schamgefühl habe ich unter dem Titel „uncool“ schon einmal geschrieben. Damals war mir allerdings eine Dimension dieser Scham noch gar nicht so richtig bewusst. Ich dachte an das Schamgefühl als etwas, das mit Nacktheit, mit Unmoral, mit Unmenschlichkeit zu tun hat, aber vor wem man sich eigentlich schämt, wenn man etwas Schlechtes tut, das hatte ich mir schlicht gar nie überlegt, weil ich ja bis anhin nicht an eine höhere Instanz geglaubt hatte.
Zu einem Kind, das gelogen hat, sagt die Mutter „schäm dich!“ Und das Kind schämt sich. Meist zunächst mal vor der Mutter. Dem Vater. Vor demjenigen, der es erwischt hat.
Vor wem soll sich denn bitte ein erwachsener Mensch schämen, gerade dann, wenn er von niemand „erwischt“ wurde? Vor wem schämt sich jemand, der nicht an eine höhere Instanz, an ein Art „Gericht“ glaubt? Dass man sich schämt, auch wenn man Gott und Religion ablehnt,  – das weiß ich aus eigener Erfahrung. Dass man sogar ein schlechtes Gewissen haben kann bei einer Tat, die niemandem schadet, die aber diesem Schamgefühl zuwider läuft, ist doch eigentlich nur durch das (bei Nicht-Gläubigen im Unterbewussten sitzende) Wissen um diese „höhere Instanz“ erklärbar. Und es soll keiner kommen und sagen, er hätte noch nie etwas getan, das niemandem schadete und wofür er sich trotzdem schämte. Das anschaulichste Beispiel ist die Lüge: Es gibt Lügen, die nützen nur. Dem, der sie ausspricht und dem, der sie hört. Und trotzdem verursachen sie uns ein schlechtes Gewissen. Weil sie wahr ist, die  höchste Instanz.
Als ich – frisch konvertiert – Samy Yusufs gesungenes Bittgebet „Supplication“ zum ersten Mal hörte, fand ich es zwar schön und es berührte mich. Aber diese neue Dimension der Scham, dieser bewussten Scham gegenüber Allah swt,  weil man immer und immer wieder daran scheitert, schlechte Eigenschaften abzulegen oder auch nur ein wenig zu verbessern, weil man es nicht schafft, das, was man sich vorgenommen hat, auszuführen, weil sich so oft beim Gebet nicht die richtige Konzentration einstellen will, oder einfach weil man begreift, dass alles, was man tut, viel zu wenig ist, – diese Dimension hat sich erst im Laufe der Zeit vom Unbewussten ins Bewusstsein verlagert.
Und nun steh ich manchmal da, auf meinem Teppich, in Richtung Mekka. «Meine Augen voller Tränen. Mein Herz voll von Scham. Weil meine schlechten Taten ein hoher Berg sind und meine guten ein mickriges Häufchen.» (Das ist der Liedtext) Und ich bin gleichzeitig traurig über meine klägliche Unzulänglichkeit und ergriffen  über Seine unermessliche Barmherzigkeit.

 

Sag: O Meine Diener, die ihr gegen euch selbst maßlos gewesen seid, verliert nicht die Hoffnung auf Allahs Barmherzigkeit. Gewiß, Allah vergibt die Sünden alle. Er ist ja der Allvergebende und Barmherzige. (Az-Zumar 53)
 
(Alles) Lob gehört Allah, dem Herrn der Welten,
dem Allerbarmer, dem Barmherzigen,
dem Herrscher am Tag des Gerichts.
(Al-Fatiha 2-4)

 

An alle Nichtmuslime, besonders an diejenigen, die mich von früher kennen: Ich kann nichts dafür, dass ich jetzt manchmal so pathetisch und für eure Begriffe wohl schwülstig daher schreibe. Ich kann nur so schreiben, wie mir gerade ist.

Link zum Thema:  »uncool«
  
Veröffentlicht am 2012-10-01



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7 Antworten zu “„schäm dich!“”

  1. Salam aleikum!
    Ich denke der grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass es "in der westlichen Welt" darum geht als Indiviuum gegenüber der Gesellschaft zu bestehen, um ein möglichst großes Selbstbewusstsein, um sich nicht schämen zu müssen, sondern eben möglichst viel ohne Scham von sich zeigen zu können. Im Islam hingegen ist Schamhaftigkeit eine Tugend, da das Ziel das Gottesbewusstsein ist. Jeder ist automatisch ein Teil der Gesellschaft und muss sich nur gegenüber Gott "beweisen". Je mehr man sich der Allgegenwart und Vollkommenheit, etc. Gottes bewusst wird, desto mehr nimmt man seine eigene menschliche Unzulänglichkeit wahr. Was aber nichts negatives ist, sondern der 1. Schritt sich charakterlich zu verbessern. So sehe ich das Bedecken z.B. auch mehr als ein (spirituelles) Hilfsmittel sich vom Äußeren weg auf die inneren Werte zu konzentrieren.

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