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Gedanken und Erfahrungen von einer, die fand, Religion sei nur etwas für schlichtere Gemüter - und dann
zum Islam konvertierte. Ausgerechnet ...

Suchtbeten?!

„Du bist krank.“ „Du hast dich beeinflussen lassen.“ „Das alles passt nicht zu dir.“ „Früher warst du ganz anders, ‚fixe‘ „(fiisch, wie man hier in Portugal sagt. „Cool“ hat in etwa eine ähnliche Bedeutung.) „Du bist komisch geworden.“ »“Du bist nicht mehr du“«. „Du bist krank.“
Und so behandelt man mich auch manchmal.  Wie man eine Kranke behandelt. Vorsichtig, liebevoll nachsichtig und sehr besorgt, aber auch ziemlich genervt. Alle wollen zweifellos nur das Beste für mich. 
Sie denken: „Man muss sie machen lassen. Gib ihr Zeit. Dann wird sie vielleicht wieder normal.“ Das ist die große Hoffnung: dass ich wieder „normal“ werde. Dazu hält man mir auch immer wieder mal die neuesten Nachrichten aus der »islamischen Gewaltwelt« vor Augen. Dann wieder meine eigenen agnostischen Ex-Ansichten. „Gott, ok. Glaub doch an Gott. Oder an Allah, wenn dir das lieber ist. Aber was du tust, ist krank. Du hast alte Suchten durch neue ersetzt.“ Suchtbeten. 
Mir ist bekannt – auch aus eigener Erfahrung in unmittelbarer Umgebung -, dass Menschen, die psychische Probleme haben, oft selbst nicht wahrhaben wollen, dass sie krank sind. Sich keinesfalls behandeln lassen wollen. Und weil ich weiß, dass die Nichtanerkennung der Krankheit zum Krankheitsbild dazugehört, nehme ich es schon ernst, wenn man mir zu verstehen gibt, ich sei krank. Nur: Den wirklich Kranken geht es schlecht. Sie sind unglücklich, auch körperlich nicht auf dem Damm, haben Schlafstörungen und sogenannte „episódios“ (deutsch „Schübe“). Manchmal sogar aggressive. Gefährliche. Für sich selber und andere. 
Mir hingegen geht es nicht schlecht. Subjektiv geht es mir besser denn je (wäre da nur nicht der riesengroße Vorwurf, der ständig über mir hängt. Der Vorwurf, alle meine Lieben maßlos zu enttäuschen.) Ich habe auch keine „Episoden“, weder gewalttätige noch andere, noch Schlafstörungen – im Gegenteil, ich schlafe fast immer wunderbar, alhamdulillah. Ich tue niemandem  etwas zuleide. 
Ich bin aber also nicht mehr „fixe“, cool. Das ist doch kein Krankheitsbild! Oder doch? Haben sie doch recht? Bin ich krank? Stimmt irgendwas in meinem Gehirn nicht mehr? Habe ich wirklich Sucht durch Sucht ersetzt? (Ich empfinde es eher als „geSucht“ und „gefunden“ 😉 ) Oder habe ich „Abwechslung“, „Abenteuer“ in mein Leben gebracht (das ich allerdings niemals als langweilig empfand)? Suchte ich unbewusst einen Ausweg aus einer unbewussten Unzufriedenheit? Oder einen Rückzug aus bestehenden Problemen? Oder bin ich einfach jemand, der „etwas Besonderes“ sein will? Dass ich jetzt an die Öffentlichkeit gehe mit meinen »Bloggereien« könnte auf eine gewisse Geltungssucht hindeuten. Eine äußerst unislamische Eigenschaft…. a3udu billah..
Einen Gehirndefekt kann ich nicht ausschließen, bin kein Arzt, kein Psychiater. Nur: Gibt es eigentlich eine Region in unserem Gehirn, die auf Religion spezialisiert ist? Denn ansonsten habe ich ja sowohl mein Privat- als auch mein Berufsleben durchaus im Griff. Das mit den Problemen kann es auch nicht sein: Wär schön blöd, zu versuchen, Problemen zu entfliehen, indem man sich viel größere schafft. Wenn es nur um Abenteuer und Abwechslung gegangen wäre, hätte ich mit meiner phlegmatischen Veranlagung ganz bestimmt nicht einen so  komplizierten, anstrengenden Weg gewählt.  Bleibt die Geltungssucht.  Bitte nicht! — Nein, auch dazu hatte ich andere Möglichkeiten, und zudem: Als ich zum Islam kam, wusste ich ja noch nicht einmal, was ein Blog ist… Ich hatte auch nie einen Hang zur Exzentrik sondern bin ein Mensch, der es (fast zu sehr) immer allen recht machen möchte, möglichst nicht auffallen will und wenn doch, dann bitte positiv. Das genaue Gegenteil dessen, wie ich jetzt als Muslima in meinem Umfeld dastehe.
Bleibt noch die Gehirnwäsche, die mir verpasst worden sei. Mit Chlorbleiche! Dieses Argument kann ich nun aber für mich selber 100% eindeutig ausschließen, auch wenn es mir niemand glaubt. Respektive 100% bestätigen, wenn man es »so« sieht 😉 .

Was das Suchtbeten anbelangt – nun ja, das kann ich nicht ganz abstreiten. Ich suche das Beten ;). Kann und will nicht mehr ohne. Wenn das eine Sucht ist, dann bin ich wohl süchtig. Ist eigentlich jede Sucht per se etwas Schlechtes? 

Es tut gut, das Schreiben. Es hilft, diese ganzen Gedanken, die mir stets von Neuem von außen aufgedrängt werden und die manchmal quälen, wieder einmal zu ordnen, sie zu überblicken und zu erkennen: Ich bin nicht krank. Es ist nichts von alledem. Es ist einfach – »Glaube«.
  
Veröffentlicht am 2012-12-05



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5 Antworten zu “Suchtbeten?!”

  1. As salamu aleikum liebe chadidscha,
    du beschreibst mein derzeitiges Leben. Manche warten immer noch, dass es sich wieder "auswächst", andere haben mich längst aufgegeben und für "unzurechnungsfähig" erklärt.
    Mit beidem muss ich leben, es ist sehr anstrengend, man wird einsam, doch wie sollte ich etwas aufgeben (können, wollen), das ein Teil von MIR geworden ist. Islam zu verlieren hieße, mich selber zu verlieren, den Sinn zu verlieren. Alhamdulillah hat mir Allah swt. diese Gnade des Glaubens/Sucht gescheckt und inshaAllah bleibe ich bis zu meinem Tod "süchtig."

  2. Na, wenn das ne Krankheit ist und mich diese Krankheit befallen hat, dann ist es das Beste was mir je passieren konnte. Hamdoullilah hat es mich erwischt.

    Haki

  3. Schwester Chadidscha, zu dieser "Krankheit" gehören über 1,5 Milliarden Menschen. Und vor allem macht diese "Krankheit" glücklich im Diesseits und im Jenseits.

    Man frage mal diejenigen, die dich beschuldigen wieso man Alkohol nimmt, Drogen usw.!? Versuchen sie etwa dadurch glücklich zu werden? Wenn man aber das Glück in der Religion gefunden hat, dann wollen sie es nicht verstehen. Schade das sie sich dadurch selber vom wahren Glück wegbringen.

    Das wahre Glück ist bei Allah s.w.t. und Er gibt es wem Er will.

    "In dieser Welt gibt es ein Paradies (im Herzen), wer es nicht betretet, wird es auch nicht im Jenseits betreten" (Ibn al-Qayyim al-Qaabil, S.69)

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