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Gedanken und Erfahrungen von einer, die fand, Religion sei nur etwas für schlichtere Gemüter - und dann
zum Islam konvertierte. Ausgerechnet ...

(ver)biegungen

Wenn ich nur nerven würde, dann wäre das ok für mich. Genervt zu sein geht dem Gegenüber nicht an die Substanz, kann sogar gut tun, ich glaube, man kann solche ‚Genervtheiten‘ manchmal ganz gut nutzen, um eigene alte ‚Vergrabenheiten‘ ein wenig ‚umzugraben‘. Es ist nicht schön, liebe Menschen zu nerven, es nervt, diese ‚Genervtheit‘ zu spüren, aber wie gesagt, damit kann man – kann ich – leben.

Nein, das ist es nicht, was mich dazu bringt, mich trotzdem immer wieder zu verbiegen. Es ist mehr. Denn ich nerve nicht nur, nein, mit meinem Glauben verursache ich, so traurig das ist, Verstörung, negative Gefühle, die tiefer gehen als ein wenig Genervtheit,  das spüre ich ganz deutlich. Zur Verstörung kommt auch noch Scham hinzu: man muss sich für mich schämen. Leider gelingt es mir nicht, diese Gefühle durch Worte zu mindern oder gar aufzufangen, zu verschieden sind die Sprachen, zu schnell fühle auch ich mich persönlich angegriffen und falle in dumme Rechtfertigungs-Verhaltensmuster – astaghfirullah, ich kann es einfach (noch) nicht besser. Außerdem scheint mir, je mehr ich darüber rede, desto größer wird dieses unheimliche Ding, das mich umgibt. So vertraue ich darauf, dass Allah t. meine Schwäche versteht und schweige meist, praktiziere diskret, halte mich zurück, vermeide jedes „Frömmeln„, gehe Kompromisse ein. Mal mehr, mal weniger. Um Menschen, die ich liebe, nicht noch mehr zu beunruhigen. Um ihnen das „Schämenmüssen“ möglichst zu ersparen. Um dem Islam, den ich liebe, den verstörenden Aspekt zu nehmen. In der Hoffnung, dass die Verstörung so Gott will mit der Zeit weicht und vielleicht irgendwann einem unvoreingenommenen Interesse Platz macht. Oder wenigstens mehr Gleichmut.
Mit den ganzen Kompromissen fühle ich mich selber natürlich auch nicht besonders wohl und strahle statt Gelassenheit ein schlechtes Gewissen aus, wegen der Verstörung, die ich auslöse und  wegen meiner eigenen Unsicherheit, ob ich nun das Richtige tue oder vielleicht doch nur feige bin. 
Es sind nicht viele Menschen, für die ich mich verbiege. Aber es sind die Nächsten und die Liebsten, die ich habe…. Diejenigen, bei denen mir am wichtigsten ist, dass es ihnen gut geht, die ich am allerwenigsten verstören möchte. Die einzigen, bei denen es mir – ihretwegen, nicht meinetwegen – etwas ausmacht, wenn sie sich für mich schämen „müssen“. Und es sind diejenigen, die sich ja auch verbiegen, um mit meinem neuen, für sie sehr sehr seltsamen religiösen Ich klar zu kommen. Weil ich trotz allem zu den Nächsten und Liebsten gehöre, die sie haben. 
Wahrscheinlich wirkte es rücksichtslos, dass ich relativ kurz nach meiner Ab-Biegung zum Islam so offen zu meinem Glauben stand, im Wissen um die Verstörung (allerdings habe ich das Ausmaß total unterschätzt), die das „Outing“ verursachen würde. Es nicht zu sagen, wäre jedoch feige gewesen. Ganz abgesehen davon: man kann, wie schon anderswo erwähnt, auf Dauer, vor allem wenn man nicht allein lebt,  nicht im Geheimen Muslim sein, ohne ständig zu schwindeln oder Ausreden zu erfinden.
Warum ich das hier schreibe? Weil ich wieder etwas gelernt habe. Um mir darüber Klarheit zu verschaffen. Vielleicht weil  ich – da kommt wieder eine Rechtfertigung, sorry – zeigen möchte, dass ich nicht einfach eine gefühllose Egoistin bin, die für ihren Selbstfindungstrip andere unglücklich macht. Wahrscheinlich auch, weil geteiltes schlechtes Gewissen ein wenig leichter wird? Weil Verständnis gut tut, auch wenn es nicht von der Seite kommt, woher man es sich wünscht. Und weil es andere in ähnlichen Situationen gibt, denen meine Erfahrungen vielleicht helfen, es besser zu machen. Und immer wieder: weil niemand da ist, mit dem ich über diese Dinge einfach so mal kurz reden kann. Ah – ja – und weil ich ja sonst  nirgends ‚frömmeln‘ darf 😉

So, und jetzt ziehe ich mich zurück zu einer anderen Biegung, respektive Beugung, besser gesagt Ver-Beugung, werde Worte eines ganz und gar unverbogenen Buches lesen «(in diesem) arabischen Qur’an, an dem nichts Krummes ist, … (Az-Zumar: 28)» und um Leitung auf dem geraden Weg bitten Leite uns den geraden Weg, (Al-Fātiha: 6)») und werde inschaAllah in der schönsten aller Verbiegungen, dem Sudschud  (Niederwerfung)  versuchen, die Nähe zu meinem Schöpfer und die innere Ruhe zu finden («Sicherlich, im Gedenken Allahs finden die Herzen Ruhe! (Ar-Ra’d: 28)».


  
Veröffentlicht am 2013-02-25



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3 Antworten zu “(ver)biegungen”

  1. Liebe Chadidscha: welcome back!

    ich muss Ihnen sicher nicht erklaeren, wie wichtig im Islam Familie ist und dass die Eltern gleich nach Gott kommen.

    Das wird an vielen Stellen im Koran betont. Betont wird aber auch, dass es eine Situation gibt, wo man / frau selbst die eigenen Eltern uebergehen darf, ja muss:

    wenn die Eltern einen daran hindern wollen, dass man als Moslem (hier im Sinne von "als Gott Ergebener") praktiziert / lebt.

    Es tut mit sehr leid, dass sich Ihre nahe Familie so schwer mit Ihrer neuen Religion tut.

    Ich muss auch sagen, dass Ihre Schilderungen nicht gerade so wirken, als ob Ihre Familie besonders tolerant waere. Was genau stoert sie denn so?

    Sind die Verwandten denn so islamfeindlich? Wie, vermuten Sie, haette Ihre Familie reagiert, wenn Sie nicht nicht zum Islam, sondern z.B. zum Buddhismus konvertiert waeren?

    Gab es denn auch verstaendnisvolle Verwandte?

    Als Moslem, in Deutschland geboren und aufgewachsen, finde ich es schon schockierend, wenn sich Menschen, die sich (das nehme ich mal stark an)fuer moderne und augeklaerte Mitteleuropaeer halten, so verstockt verhalten, wenn ein Familienmitglied konvertiert. Ich frage mich dann:

    was kann ich als Moslem von / in so einer Gesellschaft erwarten?

    Vielleicht kann Sie diese kleine Information ein wenig troesten:

    in den 1910/20er Jahren gab es im Osmanischen Reich / der jungen Tuerkei einen Mann namens Mehmet Akif Ersoy. Er ist uebrigens auch derjenige, der die tuerkische Nationalhymne geschrieben hat.

    MAE war ein politisch und literarisch sehr gebildeter Mann, der auch sehr fromm (im besten Sinne dieses Wortes) war. Von ihm stammt folgende Aussage:

    "Wenn ich nicht den Koran selbst gelesen haette und nicht wuesste, dass das, was der Welt als "Islam" vorgestellt wird, nicht der wahre Islam ist, so waere ich wohl der Erste, der dieser Religion den Ruecken kehren und sie bekaempfen wuerde."

    Sie sehen also, wie schlecht das Image des Islam ist und lassen Sie mich Ihnen garantieren, dass selbst in islamischen Familien Religiositaet manchmal auf Widerstand und Kritik stoesst (die Geschwister meiner Mutter machen sich sie ueber sie lustig, weil sie einmal (!) am Tag betet, seit wir meinen Bruder verloren haben.

    Sie sind also nich allein, ich wuensche Ihnen viel Kraft und Geduld. Gott weiss, was in Ihnen vorgeht und wird Sie nicht im Stich lassen.

  2. Danke für die Aufmunterung.

    Nein nein, sie sind nicht verstockt. Ebensowenig wie ich verstockt bin, auch wenn es aus ihrer Sicht wahrscheinlich so aussieht. Es ist nämlich gut möglich, dass sie denken: "wenn es ihr doch so wichtig ist, dass es uns gut geht, warum lässt sie nicht den ganzen Quatsch und wird wieder wie früher."

    Sie können es einfach nicht nachvollziehen, nicht verstehen und wie gesagt, es verstört sie und verursacht negative Gefühle in ihnen. Es ist ja nicht ihre Absicht, so zu fühlen, sie wollen mir ja nichts Böses, im Gegenteil sie befürchten, ich mache einen gewaltigen Fehler.

    Ich würde sie keinesfalls als grundsätzlich islamfeindlich oder intolerant bezeichnen – eigentlich sind sie ansonsten Menschen gegenüber, die aus irgendeinem Grund etwas "anders" sind, ganz offen. Aber dass ich als bodenständige Schweizerin ohne jeden Bezug zur muslimischen Welt ausgerechnet den Islam als meine Religion "gewählt" habe (gewählt steht in Anführungszeichen weil ich ja eigentlich keine Wahl hatte), das verstehen sie nicht. Und noch weniger, dass ich die Religion nicht nur so als "stilles Attribut" betrachte, wie es ja die meisten Christen mit ihrer Religion halten, sondern tatsächlich auch praktiziere, das wirkt halt dank der tollen Presse, die der Islam zu haben pflegt, schon leicht "fanatisch" und ist insofern noch beunruhigender.

    Vielleicht kann ein geborener Muslim diese Haltung ebensowenig wirklich verstehen, wie diese Menschen mich und meinesgleichen, also "Konvertiten", verstehen können…

  3. PS: das ist ja mit ein Grund für meine Schreiberei – ich würde so gerne, indem ich meinen Weg den Nichtmuslimen erkläre, aber gleichzeitig den Muslimen deren Abwehrhaltungen etwas verständlicher zu machen versuche, eine Verständnis-Brücke bauen. Oder einen kleinen Steg. InschaAllah.

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